So schlecht, dass es gut ist

"Hate Watching": Warum wir Serien lieben, die wir eigentlich hassen

Aktualisiert:

von Lars-Ole Grap

Die Musical-Verfilmung "Cats" wurde trotz Pop-Ikone Taylor Swift unfreiwillig zum "Hate Watching"-Hit.

Bild: IMAGO / Capital Pictures


Kennst du das? Du sitzt auf der Couch, verdrehst bei jeder Szene die Augen - und bleibst trotzdem dran. Eigentlich ist die Serie schlecht, die Dialoge nerven und die Story wirkt absurd. Und doch: Ausschalten ist keine Option. Dieses seltsame Vergnügen hat sogar einen Namen: "Hate Watching".


Faszination am Scheitern: Was wirklich hinter "Hate Watching" steckt

Warum machen wir das? Der Anthropologe René Girard erklärte das Phänomen mit einer Mischung aus verborgener Bewunderung und einer Form von "ergebenster Verehrung". Wenn wir erkennen, wie schlecht ein Film oder eine Serie ist, fühlen wir uns überlegen - wir sehen die Fehler und genießen ein kleines Gefühl intellektueller Überlegenheit.

Dazu kommt das soziale Element: Denn "Hate Watching" passiert selten allein. Auf Social Media entsteht so oft kleine Gemeinschaften, die sich über Logikfehler, seltsame Dialoge oder absurde Kostüme austauschen. Die Kritik selbst wird zur Unterhaltung, während der eigentliche Inhalt in den Hintergrund rückt.

Wir wissen, dass die Serie schlecht ist - die Logik bröckelt, die Figuren nerven - und doch können wir nicht aufhören. Das Unterhaltungsbedürfnis, die Sucht nach Dramen oder einfach die pure Neugier sind stärker.

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Von Serien bis Reality-TV: Warum "Hate Watching" in jedem Genre funktioniert

Dieses Phänomen beschränkt sich nicht auf bestimmte Genres: Allerdings verstärken bei Serien längere Handlungsbögen, Cliffhanger und die Erwartung auf den nächsten großen Moment das Phänomen des "Hate Watching" noch. Auch wenn die Storylines absurd sind oder stereotype Figuren auftreten, halten uns die großen Dramen gefesselt. Ein weiterer Faktor ist die morbide Neugier: Wie schlimm kann es noch werden? Welche absurden Wendungen bringt die Geschichte als Nächstes? Diese "So-schlecht-es-ist-gut"-Faszination, auch Camp-Ästhetik genannt, verwandelt das Scheitern in surrealen Spaß. Paradoxerweise kann dieses Entertainment sogar tröstlich sein: Vorhersehbare Dramen, stereotype Charaktere und bekannte Strukturen erfordern wenig Konzentration und bieten eine schuldbewusste Form von Eskapismus.

Auch Filme und Reality-TV bieten hier reichlich Beispiele: "The Room" (2003) etwa gilt mittlerweile als Kultfilm, weil er unfreiwillig komisch ist und die Musicalverfilmung "Cats" (2019) wurde wegen ihres absurden Charakters zum weltweiten "Hate Watching"-Phänomen. Reality-Shows wie "Keeping Up with the Kardashians" oder "Der Bachelor" leben hingegen besonders von übertriebener Dramatik und Klischees - und ein Millionenpublikum schaltet ein, um mitzuleiden oder zu spotten.

Warum wir trotz Logikfehler und Chaos bei Serien wie "Grey's Anatomy" dranbleiben

Andere Serien verdeutlichen den Reiz des "Hate Watching" besonders gut. So hat etwa der Serien-Hit "Grey's Anatomy" für viele Fans seinen Glanz verloren: Aus dem fesselnden medizinischen Drama mit tief entwickelten Charakteren wurde ein Marathon voller wirrer Handlungsstränge, unprofessioneller Ärzte und Liebesgeschichten ohne den Charme der früheren Staffeln. Aber: Wer so viel Zeit investiert hat, kann kaum aussteigen. Ähnlich verhält es sich bei "Pretty Little Liars": Logikfehler und chaotische Entwicklungen hätten fast alles zerstört, doch die zentrale Frage "Wer ist 'A'?" hielt uns sieben Staffeln lang bei der Stange.

Am Ende zeigt "Hate Watching" vor allem eines: Selbst schlechtes oder überdrehtes Fernsehen kann fesseln, unterhalten und Gespräche anregen. Es ist die Mischung aus Kopfschütteln, Unglauben und heimlicher Freude über das Scheitern, die uns dranbleiben lässt.

Ob chaotische Murder-Mysterys, absurde Liebesdramen oder medizinische Serienmarathons - wir lachen, kritisieren, diskutieren und entdecken gerade in den Schwächen der Geschichten eine überraschende Form von Unterhaltung. "Hate Watching" ist nicht nur Kritik, sondern auch ein Spiegel unserer Faszination für das, was uns gleichzeitig nervt und dennoch nicht mehr loslässt.

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