Verurteilt wegen 85-fachen Mordes
ZDF-True-Crime-Doku über Niels Högel: Wie die Eltern des "Todespflegers" mit der Schuld leben
Aktualisiert:
von Claudia FrickelEine Dokumentation erzählt die Geschichte des Pflegers Niels Högel und eines Elternpaares, dessen Kind zum Mörder wurde.
Bild: KI-generiert mit Dall-E
85 Menschen hat der Serienmörder Niels Högel auf dem Gewissen - oder sogar noch mehr. Dabei inszenierte sich der Krankenpfleger als Lebensretter. Wieso niemand den "Todespfleger" stoppte und wie die Eltern mit dieser Last weiterleben können, erzählt der Dokumentarfilm "Jenseits von Schuld".
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Niels Högel: Wie der Todespfleger seine Opfer tötet
Der schlimmste Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte ist ein Krankenpfleger. In nur sechs Jahren bringt Niels Högel in zwei Krankenhäusern mehr als 80 Patient:innen um, mindestens. Sie sind zwischen 34 und 96 Jahre alt. Das Ausmaß seiner Taten bleibt lange unerkannt.
Sein Vorgehen ist immer ähnlich. Der Mann arbeitet zwischen 1999 und 2005 als Pfleger auf Intensivstationen. Dort spritzt er den ihm anvertrauten Menschen nicht verordnete Medikamente in lebensgefährlichen Mengen.
Sein Ziel: Es soll zu Herz-Kreislauf-Versagen kommen. Wenn der Zustand der ohnehin schwer kranken Patient:innen kritisch wird, greift Högel erneut ein. Jetzt versucht er allerdings, seine Opfer zu reanimieren – was aber häufig nicht gelingt.
Oft drängt er sogar Ärzt:innen und andere Pfleger:innen beiseite, weil er die Wiederbelebung übernehmen will. Das bringt ihm den Spitznamen "Rettungs-Rambo" ein. Sein Motiv: Er sucht Lob und Anerkennung und möchte als besonders kompetent dastehen.
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"Jenseits von Schuld": ZDF-Doku beleuchtet die unbegreiflichen Verbrechen
Aber warum? Der 1976 geborene Högel wächst behütet auf, hat keine Probleme in der Schule und spielt mit anderen Fußball. Sein Vater ist Krankenpfleger, seine Mutter arbeitet bei einem Rechtsanwalt. Wie es Eltern geht, deren Kind solch unvorstellbaren Gräueltaten geht, beleuchtet der ZDF-Dokumentarfilm "Jenseits von Schuld". Du kannst ihn kostenlos auf Joyn streamen.
Niels Högels Mordserie: Niemand stoppt den Killer
1997 schließt Niels Högel eine Ausbildung zum Krankenpfleger ab, im gleichen Krankenhaus, in dem sein Vater arbeitet. Dort bleibt er, bis er 1999 nach Oldenburg auf die Intensivstation der Herzchirurgie wechselt.
Zwei Jahre später rätseln dortige Ärzt:innen und Pfleger:innen, warum es auf Station 211 so viele Tote und Reanimationen gibt - also da, wo Högel im Dienst ist. Es gibt sogar eine Besprechung dazu, an der der Pfleger teilnimmt. Danach meldet er sich drei Wochen krank. In dieser Zeit sterben nur zwei Patient:innen auf der Station. Das ist ein riesiger Unterschied zur Vergangenheit: Fast 60 Prozent der Sterbefälle in der Klinik passieren, wenn Högel im Dienst ist.
Kurze Zeit später wird der Pfleger in die Anästhesie versetzt, weil der Chefarzt ihn loswerden will. Aber auch dort kommt es zu unerklärlich vielen Todesfällen. Die Klinik drängt ihn zur Kündigung, stellt ihm aber ein hervorragendes Zeugnis aus. Er sei "gewissenhaft" und "umsichtig", heißt es darin.
Die Deutschlandkarte zeigt die Verortung der beruflichen Stationen von Niels Högels.
Bild: picture-alliance/ dpa-infografik | dpa-infografik
Seit 2002 arbeitet Högel im Klinikum Delmenhorst, knapp 35 Kilometer von Oldenburg entfernt. Schnell häufen sich auf der dortigen Station ebenfalls die Todesfälle. Über 70 Prozent davon passieren in seinen Schichten. Aber niemand untersucht das. Ab 2003 schöpfen Kolleg:innen Verdacht.
Erst am 22. Juni 2005 wendet sich das Blatt: Der Krankenpfleger wird auf frischer Tat ertappt. Eine Kollegin beobachtet, wie er einem Patienten ein nicht verschriebenes Medikament spritzt. Eine Blutprobe bestätigt den Verdacht.
Es vergehen zwei weitere Tage, bevor Leitungskräfte des Klinikums diskutieren, wie sie vorgehen sollen. Sie verschieben ihre Entscheidung auf die Zeit von Högels Urlaub. Der Mann absolviert noch eine Schicht - und ermordet eine weitere Patientin. Wenige Tage später wird er festgenommen.
Warum das ganze Ausmaß der Verbrechen so lange unerkannt bleibt
2005 wird der Serienkiller Högel wegen versuchten Totschlags zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Es geht nur um den Fall, den eine Kollegin beobachtet hatte. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hebt das Urteil auf und das Landgericht muss erneut verhandeln.
Der Pfleger bleibt auf freiem Fuß und arbeitet unbehelligt in Altenheimen weiter. Morde können ihm aus dieser Zeit nicht nachgewiesen werden. Im Juni 2008 verurteilt das Landgericht Oldenburg Högel wegen Mordversuchs zu 7,5 Jahren.
Die Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen in acht weiteren Fällen ein. Durch einen Personalwechsel im dortigen Büro passiert zwischen 2011 und 2013 nichts. Erst dann erfolgt eine neue Anklage wegen fünf Tötungen. 2015 wird er dafür zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch im Verlauf des Prozesses gibt es immer mehr Hinweise auf weitere Morde.
Ende November 2014 gründen Staatsanwaltschaft und Polizei eine Sonderkommission namens "Kardio". Sie soll alle Todesfälle an Högels Dienstorten untersuchen. Insgesamt 134 Leichen werden exhumiert. Nun erst zeigt sich das ganze Ausmaß des Schreckens.
2018 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage wegen weiterer 97 Tötungen. Die Zahl erhöht sich später auf 100. Insgesamt untersuchen Ermittler:innen jedoch 332 Todesfälle. Viele können nicht mehr aufgeklärt werden, etwa weil die Leichen verbrannt wurden.
Högel gesteht nur 43 der Morde. 2019 wird er wegen 85-fachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht stellt eine besondere Schwere der Schuld fest. Der Todespfleger verbüßt seine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Oldenburg.
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