Durch Schlägerei zum Genie
Insel-Begabung: Was steckt hinter dem Savant-Syndrom?
Aktualisiert:
von Chris TomasDer US-Amerikaner Jason Padgett wurde über Nacht zum Genie. Aber was steckt hinter der unglaublichen Geschichte?
Bild: Galileo | Adobe Stock
Sie lösen Rechenaufgaben in Sekunden oder spielen Klavierkonzerte aus dem Gedächtnis, haben aber mit Alltagsaufgaben oft Schwierigkeiten: Menschen mit Savant-Syndrom, also einer Insel-Begabung. Fachleuten geben sie bis heute Rätsel auf. Woher kommen diese Fähigkeiten?
Kim Peek war ein Superhirn. Was immer er sah und hörte, das merkte er sich. Er kannte Geschichtsdaten, Busverbindungen und alle Postleitzahlen, Telefonvorwahlen, Straßenverbindungen der USA. Er lernte lesen, da war er noch keine anderthalb Jahre alt. Und wenn er ein Buch vor sich liegen hatte, erfasste sein linkes Auge die linke Seite und sein rechtes Auge die rechte. Allerdings: Bis zu seinem Tod 2009 war Kim Peek immer auf die Hilfe seines Vaters angewiesen. Er konnte sich nicht einmal ein Brot schmieren und seinen Alltag allein nicht bewältigen.
Der Mann mit dem sensationellen Gedächtnis ist der wohl berühmteste "Savant", das bedeutet aus dem Französischen übersetzt: "Wissender". Denn für seine Geschichte interessierte sich das Kino, und so wurde er zum Vorbild für den "Rain Man". In dem Film aus dem Jahr 1988 spielt Dustin Hoffman den autistischen Raymond Babbitt, der in einem Heim lebt, seinen Bruder Charlie – gespielt von Tom Cruise – aber mit seinen Rechenkünsten beeindruckt.
Kim Peek (links) diente als Vorbild für den Film Rain Man mit Tom Cruise (Mitte) und Dustin Hoffman (rechts) als Raymond Babbitt.“
Bild: picture alliance/United Archives | United Archives/Impress | SplashNews.com
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Wie verbreitet ist das Savant-Syndrom?
Tatsächlich weiß man nur von wenigen Menschen, die Insel-Begabung haben. Ungefähr hundert Betroffene wurden weltweit dokumentiert. Männer sind sechsmal häufiger betroffen als Frauen. Etwa die Hälfte ist zusätzlich autistisch, weitere Betroffene haben neurologische Störungen. Man vermutet daher, dass es einen Zusammenhang zwischen Autismus und dem Savant-Syndrom gibt. Es gilt aber nicht als Krankheit, lässt sich weder behandeln noch heilen.
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Wie äußert sich das Savant-Syndrom?
Manche Savants haben ein fotografisches Gedächtnis. Der Brite Stephen Wiltshire etwa zeichnete nach nur einem Rundflug über London ein detailgenaues Stadtpanorama nach. Andere haben ein musikalisches Talent, spielen Orchesterstücke aus dem Gedächtnis, oder ein absolutes Gehör wie der US-amerikanische Jazzmusiker Matt Savage. Wieder andere lernen schwere Sprachen in wenigen Wochen. Oder die Inselbegabung äußert sich in mathematischen Fähigkeiten. Betroffene lösen Aufgaben blitzschnell, lieben Primzahlenketten oder können zu einem beliebigen Datum den Wochentag nennen. Wie und wie stark die Talente ausgeprägt sind, ist sehr verschieden.
Entgegen dem Klischee haben aber nicht alle Savants auch eine geistige Behinderung. Manche führen ein ganz normales Leben oder schneiden in IQ-Tests sogar überdurchschnittlich ab. Der Autismus-Forscher Darold Treffert, der an "Rain Man" mitgearbeitet hat, unterschied zwischen "erstaunlichen Savants" mit den beschriebenen ungewöhnlichen Fähigkeiten und "talentierten Savants" mit durchschnittlichen Fähigkeiten, die angesichts einer Behinderung wie eine Insel-Begabung wirken.
Welche Ursachen gibt es für das Savant-Syndrom?
Meist sind Insel-Begabung angeboren. Die Wissenschaft rätselt noch, wie es dazu kommt. Klar scheint, dass bei Betroffenen die Filterfunktion im Gehirn beeinträchtigt ist. Denn unser Gehirn verarbeitet normalerweise nur fünf Prozent aller Informationen bewusst, um uns vor Überlastung zu schützen. Fachleute glauben, dass das bei Savants anders ist und sie dadurch Zugriff auf mehr Informationen haben. Aber wie es dazu kommt, weiß man bislang nicht.
Möglicherweise sorgt eine Schädigung der linken Hirnhälfte dafür, dass die rechte Gehirnhälfte diesen Verlust ausgleicht und dabei ungewöhnliche Schaltkreise aufbaut. Dafür spricht, dass viele Insel-Begabung von der rechten Gehirnhälfte gesteuert werden. Doch was verursacht diesen Schaden, wenn das Savant-Syndrom angeboren ist? Einige Forschende vermuten eine Überdosis vom männlichen Hormon Testosteron im Mutterleib – das würde zumindest auch die vielen männlichen Betroffenen erklären.
Es kommt auch vor, dass Menschen nach einem Unfall oder einem Trauma ein Savant-Syndrom entwickeln. Dann sorgen Kopfverletzungen dafür, dass sich das Gehirn neu verdrahtet. Ein Beispiel ist Jason Padgett: Der US-Amerikaner aus Indiana wurde mit 32 Jahren nach einem Kneipenbesuch von zwei Fremden verprügelt. Nach kurzer Bewusstlosigkeit erwachte er nach der Bewusstlosigkeit als Mathe-Genie. Derzeit weiß man allerdings nur von 32 Fällen, in denen es zu einer solchen erworbenen Insel-Begabung kam. Der Fall zeigt aber auch: Theoretisch steckt in jedem ein Savant.
Genie über Nacht: Von der Kneipen-Schlägerei zum Mathe-Ass

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