Ehemalige deutsche Kolonie in Chile
Deutsche Sekte Colonia Dignidad: Wie aus dem Horror-Lager ein skurriles Touristenziel wurde
Aktualisiert:
von Claudia FrickelMädchen und Buben der berühmten Sekte Colonia Dignidad. Wo sind sie heute?
Bild: picture-alliance / dpa
45 Jahre lang dauerte das grausame Regime der deutschen Sekte Colonia Dignidad in Chile. Einige der Kinder, die dort aufwachsen mussten, sind geblieben - und verwandelten den Ort des Terrors in ein Touristenziel. "Galileo" wollte wissen: Wie geht das zusammen?
Was war die berüchtigte und barbarische Sekte Colonia Dignidad?
Die Colonia Dignidad war eine deutsche, christliche Sekte, die in Südamerika ein von der Außenwelt abgeschottetes Terrorregime führte. Ihr Sektengründer Paul Schäfer floh 1961 aus Deutschland nach Chile, hunderte Anhänger:innen folgten ihm.
Knapp 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile gründete der Laienprediger seine "Kolonie der Würde". Der Name ist bizarr, denn in Wahrheit herrschte dort ein brutales Überwachungssystem mit Zwangsarbeit und Folter.
Die bis zu 350 Bewohner:innen mussten sich Schäfer vollständig unterwerfen und allen Besitz abgeben. Frauen und Männer lebten getrennt, private Gespräche waren streng verboten und alle wurden überwacht. Kinder wurden von Eltern und häufig auch von den Geschwistern getrennt. Alle Sektenmitglieder mussten 16 Stunden pro Tag schuften. Wer nicht gehorchte, wurde hart bestraft und gefoltert, etwa mit Elektroschocks.
Nach außen gaukelte die Sekte vor, dass sie sich um chilenische Waisenkinder kümmern wollte. Ein Krankenhaus und ein Internat waren für die lokale Bevölkerung kostenlos. Doch das war alles nur Tarnung, denn Schäfer missbrauchte und quälte viele der einheimischen Jungen.
Die Colonia Dignidad betrieb zudem ein unterirdisches, geheimes Waffenlager. Mit geschmuggelten Maschinenpistolen unterstützte er den Militärputsch des Diktators Augusto Pinochet. Dessen Geheimdienst folterte auf dem Gelände der Kolonie zahlreiche Menschen. Mindestens 22 von ihnen wurden ermordet, weitere sind bis heute verschollen.
In den 1990er-Jahren begannen die Behörden in Chile, gegen Schäfer zu ermitteln. Er konnte fliehen und wurde erst 2005 in Argentinien gefasst und zu 20 Jahren Haft verurteilt. 2010 starb der Sektenführer.
Einige der heutigen Bewohner:innen kamen in der Kolonie zur Welt. Trotz ihrer furchtbaren Kindheit sind sie geblieben. Aber warum? Das wollte Galileo-Reporter Harro Füllgrabe wissen - und schaute hinter die Kulissen.
Mädchen der Colonia Dignidad musizieren 1991 bei einem Konzert auf dem Gelände der berüchtigten Sekte.
Bild: picture-alliance / dpa
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Wie aus der Sekte ein bayerischer Ort wurde - und wie es ehemaligen Bewohner:innen heute geht
Nach der Flucht und späteren Verhaftung von Sektenführer Paul Schäfer öffnete sich die Colonia Dignidad langsam der Außenwelt. Schon 1988 hatte sich das Gelände in Villa Baviera umbenannt, was so viel heißt wie "Dorf Bayern". Seitdem steht bayerische Folklore im Zentrum. Heute leben noch 120 Menschen auf dem 4.800 Hektar großen Areal, das in etwa so groß ist wie Kassel.
Sie betreiben ein Hotel mit Restaurant, in dem Schweinshaxe und Sauerkraut serviert werden. Dazu gehören außerdem Pool und Whirlpool, eine Bäckerei, eine Hühnerfarm, eine Gärtnerei und ein Museum.
Unter den Bewohner:innen sind Anna, Robert, Renate und Carla. Sie alle wuchsen unter schrecklichen Bedingungen in der Kolonie auf - und wohnen teilweise noch in den Häusern, in denen sie aufgewachsen sind. Alle sprechen immer noch perfekt Deutsch. "Das einzige Eigentum war eine Zahnbürste", erzählt Robert dem Galileo-Reporter. "Ich habe als Kind nicht mal gewusst, wie Geld aussieht".
Carla kam als Achtjährige mit ihrer Familie zur Colonia Dignidad und arbeitete dort später fast 30 Jahre lang als Krankenschwester. Sie bewunderte Paul Schäfer und war ihm hörig - bis sie die Wahrheit erfuhr.
Anna ist nie gegangen, weil sie sich immer noch "Gerechtigkeit" wünscht - für alle, die "ohne freien Willen herkamen". Aber wie geht es ihnen mit dem düsteren Vermächtnis? Warum wollen sie Tourist:innen anlocken? Und was zieht Urlauber:innen ausgerechnet an diesen Ort des Schreckens? Das erfährst du in der Reportage "Das schwere Erbe der Colonia-Dignidad-Nachfahren".
Den ganzen Clip dazu gibt es hier:
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