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"Becoming Elizabeth": Wie nah ist die Serie an den echten Ereignissen?

Aktualisiert:

von Anne O.

Ist die History-Serie mit  mehr Wahrheit oder Hollywood-Märchen?

Bild: picture alliance / Bildagentur-online | Sunny Celeste; LionsGate International (UK) Limited


"Becoming Elizabeth" ist eine historische Dramaserie, die sich auf die frühen Jahre der britischen Elizabeth Tudor konzentriert. Sie wird als intelligente, aber auch noch unerfahrene Jugendliche gezeigt, die sich zur starken Kämpferin und Regentin entwickelt. Die Machtspiele und die familiären Intrigen, die danach folgen, stellen jede "Gossip Girl"-Folge in den Schatten. Aber wie realistisch ist die Adaption wirklich?

"Becoming Elizabeth": Darum geht's

Die Serie setzt nach dem Tod von Heinrich VIII. im Jahr 1547 ein: England taumelt zwischen Thronfolge und religiösen Konflikten, während Elisabeth ("Elisabeth" ist die deutsche Schreibweise) ihren Platz in einer Welt voller Loyalität, Verführung und Verrat finden muss. Im Spannungsfeld zwischen ihrer Schwester Mary (Romola Garai), dem jungen König Eduard (Oliver Zetterström) und ehrgeizigen Höflingen wie Thomas Seymour entwickelt sie Schritt für Schritt die selbstbewusste Persönlichkeit, die sie zur legendären Königin machen wird.


Von der Außenseiterin zur Herrscherin: Die Geschichte hinter der Legende


Die Settings

"Becoming Elizabeth" legt großen Wert auf eine authentische Darstellung der Zeit. So wurden beispielsweise echte Schlösser (wie Cardiff Castle), Kathedralen (wie Bristol Cathedral), Herrenhäuser und Burgen als Drehorte genutzt. Gefilmt wurde hauptsächlich in England und Wales. Innenräume, die so heute nicht mehr existieren, wurden detailgetreu in den Bottle Yard Studios in Bristol nachgebaut. Statt der sonst üblichen Ausstattungsorgien – inszeniert im hellen Scheinwerferlicht – kamen oft nur die damals üblichen Kerzen für die Beleuchtung zum Einsatz.

Die Ausstattung

Kostüme wurden sorgfältig nach historischen Vorlagen angefertigt. Die Kostümdesignerin Bart Cariss arbeitete dafür mit Ninya Mikhaila zusammen, einer Mitbegründerin von "The Tudor Tailor". Dabei handelt es sich um eine renommierte Organisation, die sich auf die Rekonstruktion historischer Kleidung spezialisiert hat. Hochwertige Stoffe wie Brokat, Samt und feine Wolle unterstreichen den sozialen Status der Figuren.

Typische Accessoires dieser Zeit kamen ebenfalls zum Einsatz, wie etwa Partlets (Einsätze, die den Ausschnitt bedeckten) oder Gable-Hauben (spitz zulaufende Kopfbedeckungen). Selbst Details wie Aiguillettes (Metallspitzen an Schnüren) wurden originalgetreu nachgebildet.

Eine Szene aus "Becoming Elizabeth" zeigt, wie hochwertig die Kostüme sind.

Bild: 2022 The Forge Entertainment Limited. All rights reserved.


Die Handlung: Nun sag, wie hast du's mit der Religion?

Diese Gretchenfrage ist nicht nur in Goethes "Faust" zentral, sondern auch in "Becoming Elizabeth". Religion ist ein Hauptthema, denn sie bildet die Quelle vieler politischer und familiärer Konflikte am Hof und als Folge -  und damit auch im ganzen Land.

Kurz zum historischen Hintergrund der englischen Reformation: Heinrich VIII. war zunächst überzeugter Katholik, bis er seine Ehe mit Katharina von Aragón nicht annullieren lassen durfte. Da sie ihm keinen männlichen Thronfolger gebar, wollte er Anne Boleyn heiraten. Sie verweigerte sich jedoch der Rolle als Mätresse und bestand auf einer Ehe. Die katholische Kirche wollte das Bündnis nicht annullieren. So brach Heinrich mit Rom und gründete die anglikanische Kirche. Aus der neuen Ehe mit Anne Boleyn ging 1533 Elisabeth hervor - wieder eine Tochter, kein Sohn.


Eduard VI: Ein Neunjähriger wird König

Nach Heinrichs VIII. Tod folge sein Sohn Eduard VI., der als strenger und eifriger Protestant dargestellt wird. Historische Berichte bestätigen, dass der junge König ein glühender Verfechter des Protestantismus war. Er wurde von seinen Beratern, insbesondere Edward Seymour (John Heffernan) und später John Dudley (Jamie Parker), im protestantischen Glauben erzogen und sah es als seine Pflicht an, die Reformation in England zu beschleunigen.

Den Gegenpol zu Eduard bildet seine Halbschwester Mary Tudor. Sie ist eine tiefgläubige Katholikin und weigert sich standhaft, ihren Glauben aufzugeben. Die Royal-Serie stellt sie als eine Figur dar, die zwischen der Liebe zu ihrem Bruder und ihrer unerschütterlichen Loyalität zum katholischen Glauben zerrissen ist.

Wenn zwei streiten, mäßigt sich die Dritte

Elisabeths Position in der Serie ist die einer religiösen Pragmatikerin. Im Gegensatz zu ihren Geschwistern zeigt sie keine starke emotionale Bindung an eine bestimmte Konfession. Auch die historische Elisabeth war dafür bekannt, eine flexible und vorsichtige Haltung in religiösen Fragen einzunehmen. Als Kind wurde sie protestantisch erzogen, musste sich aber während der Herrschaft ihrer katholischen Halbschwester Mary anpassen, um zu überleben. Ihr elaborierter Pragmatismus ist ein Schlüsselelement ihrer späteren Herrschaft als "Virgin Queen", die einen Mittelweg zwischen Katholizismus und Protestantismus anstrebte. Sie erhielt den Spitznamen der Jungfräulichen Königin, da sie zeitlebens unverheiratet und kinderlos blieb.

Die Serie beleuchtet authentisch, wie die Glaubensunterschiede die Beziehungen zwischen den Geschwistern sowie die gesamte Politik Englands bestimmen. Allerdings werden dabei die tiefe Feindseligkeit und Konkurrenz zwischen der protestantischen Elisabeth und der katholischen Maria hervorgehoben. Historisch war ihre Beziehung zu diesem frühen Zeitpunkt komplexer. Es gab auch Momente der Solidarität und Zuneigung, da sie beide Frauen waren, die um ihren Platz am Hof kämpften.

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Alter spielt (k)eine Rolle?

Die sechste Ehefrau von Heinrich VIII., Catherine Parr, tröstet sich nach dessen Tod 1547 mit Edward Seymours Bruder Thomas. Ihr neuer Liebhaber wiederum macht Elisabeth permanent spielerische Avancen, die zunehmend ernst werden. Dabei hat er leichtes Spiel. Immerhin lebte die 13-jährige Waise, zusammen mit ihren zwei Geschwistern, nach dem Tod des Vaters bei ihrer Stiefmutter Catherine Parr im Haushalt.

Das Verhältnis zwischen der jungen Elisabeth und Thomas Seymour (Tom Cullen) ist das Herzstück der ersten Staffel. Historische Quellen, insbesondere die Aussagen von Elisabeths Dienerin Kat Ashley bestätigen, dass Seymour sich der damals 14-Jährigen auf eine unangemessene Weise näherte. Es ist historisch belegt, dass Thomas Seymour sie morgens in ihrem Zimmer besuchte, sie in ihrem Bett kitzelte, scherzhaft auf ihren Hintern schlug und ihre Kleidung zerschnitt.


Machtgefälle als wirksames Instrument

Die Darstellung dieser Beziehung ist der größte und kontroverseste Unterschied. Die Serie stellt sie als eine sexuelle und fast einvernehmliche Affäre dar, die mit gegenseitigem Flirt und Anziehung beginnt. Historisch gesehen gibt es keine Beweise für eine sexuelle Beziehung. Die Berichte von Zeug:innen und Biografen klingen eher nach Missbrauch von Macht und Vertrauen als eine auf gegenseitigem Einvernehmen basierende Affäre.

Der Darsteller von Thomas Seymour, Tom Cullen, hat sich in Interviews und auf YouTube zur Darstellung seiner Beziehung zu Elisabeth geäußert. Er beschrieb das Verhältnis als eine Form von Grooming und Missbrauch. Die Serie solle zeigen, wie manipulative Personen ihre Macht und ihren Charme nutzen, um ihr Opfer zu isolieren. Unabhängig davon, ob Elisabeth in der Serie "Ja" sagt oder nicht, sei die Beziehung aufgrund des Altersunterschieds und des massiven Machtgefälles nicht einvernehmlich.


Das Scheitern von Catherine Parr

Die Darstellung von Catherine Parr, Heinrichs VIII. Witwe, orientiert sich weitgehend an den historischen Tatsachen: Ihre schnelle Heirat mit Thomas Seymour kurz nach Heinrichs Tod war ein Skandal am Hof. Sie wurde tatsächlich schwanger mit Seymours Kind, starb jedoch kurz nach der Geburt. Die Serie zeigt diesen tragischen Tod, der Thomas Seymour und seine politische Position weiter schwächte.

In "Becoming Elizabeth" wird sie als eifersüchtige und manchmal bittere Frau dargestellt, die sich in ihrer Ehe mit Seymour von der Anwesenheit der jungen Elisabeth bedroht fühlt. Historisch gilt Catherine auch als eine fürsorgliche und mütterliche Figur für ihre Stieftochter Elisabeth, deren Ausbildung und Wohlergehen sie förderte.

Ihr Weg zur Macht: "Becoming Elizabeth" zeigt die Anfänge einer Legende

"Becoming Elizabeth" erzählt die Geschichte eines jungen, verletzlichen Mädchens, das in den grausamen Machtkampf der Tudor-Dynastie gerät. In diesem Coming-of-Age-Prozess entwickelt sie sich langsam zu der entschlossenen und strategisch denkenden Frau, die später als eine der berühmtesten Königinnen Englands in die Geschichte eingehen sollte. Handlung und die Optik der Adaption orientieren sich dabei stark an den historischen Überlieferungen – aber mit teilweise zugespitzter Dramaturgie. "Becoming Elizabeth" hebt sich positiv von extrem fiktionalisierten Royal-Serien wie "The Tudors" ab.

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